Wir haben bereits untersucht, wie Prokrastination mit emotionaler Regulation zusammenhängt – als Versuch, mit Gefühlen wie Angst, Langeweile, Selbstzweifeln oder Überforderung umzugehen. Die intuitive Reaktion auf Unbehagen ist oft der Kampf dagegen oder die Flucht. Wir glauben: "Wenn ich nur diese Angst loswerden könnte, dann würde ich endlich anfangen." Doch was, wenn genau dieser Kampf gegen unangenehme Gefühle uns immer tiefer in den Sog der Aufschieberei zieht?

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) bietet einen radikal anderen Ansatz. Statt gegen unerwünschte Gefühle zu kämpfen, lernen wir, unsere Beziehung zu ihnen zu verändern. ACT hilft uns, Werte-orientiert zu handeln – selbst wenn schwierige Gedanken und Emotionen auftauchen. Der Schlüssel liegt nicht in der Vermeidung, sondern in der bewussten Entscheidung, Unbehagen als Teil des Prozesses zu akzeptieren.

Der Treibsand der experientiellen Vermeidung

Im Kern vieler Prokrastinationsmuster steckt die sogenannte "experientielle Vermeidung". Damit beschreiben Psychologen den Versuch, unerwünschte innere Erlebnisse (Gedanken, Gefühle, Körpersensationen) zu kontrollieren oder zu unterdrücken – selbst wenn dies langfristig schadet. Prokrastination ist ein Paradebeispiel:

Auslöser: Aufgabe X löst Angst aus
Reaktion: "Ich muss dieses Gefühl loswerden!" → Ablenkung durch Serie schauen, putzen etc.
Teilerfolg: Kurzfristige Erleichterung, aber...
Konsequenz: Aufgabe bleibt unerledigt, Stresspegel steigt, Selbstzweifel wachsen

Wie im Treibsand verstricken wir uns immer tiefer, je heftiger wir gegen die unangenehmen Gefühle ankämpfen. Die Vermeidung wird zum Selbstläufer – jedes Mal stärken wir die Verbindung zwischen Aufgabe und negativen Emotionen.

Ein neuer Weg: Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)

ACT (ausgesprochen wie das englische "act") wurde von Steven C. Hayes entwickelt und zielt auf psychologische Flexibilität ab. Diese Fähigkeit umfasst:

Präsenz: Im Hier und Jetzt verankert sein, statt in Grübeleien oder Katastrophenszenarien
Akzeptanz: Unangenehme innere Erlebnisse zulassen, ohne sie zu bekämpfen
Werteorientiertes Handeln: Entscheidungen treffen, die deinen tiefsten Überzeugungen entsprechen

Der revolutionäre Ansatz: ACT will keine "positiven Gefühle" erzwingen, sondern befähigt zum effektiven Handeln trotz unangenehmer Gefühle. Genau das durchbricht den Prokrastinationskreislauf.

Schlüsselstrategien gegen Aufschieberitis

1. Akzeptanz als aktive Entscheidung

Akzeptanz heißt nicht, Unbehagen gutzuheißen. Es ist die bewusste Wahl: "Ich lasse dieses Gefühl zu, um mich auf mein Ziel zu konzentrierren." Stell dir vor, deine Angst ist wie ein quengelndes Kind auf der Rückbank – du kannst weiterfahren, ohne dich ständig umzudrehen.

2. Gedanken entfusionieren

Unser Geist produziert pausenlos Bewertungen ("Das schaffst du nie!"). Defusionstechniken helfen, diese Gedanken als das zu sehen, was sie sind: Worte, keine Tatsachen.

Benenne sie: "Ah, da ist wieder der 'Du-versagst'-Gedanke."
Visualisiere sie: Wie auf einer Kinoleinwand oder als Untertitel im Dokumentarfilm deines Lebens

3. Wertekompass aktivieren

Warum das alles? Deine Werte geben die Antwort. Ob Lernleidenschaft, Verantwortungsbewusstsein oder Kreativität – wenn du klar weißt, wofür du handelst, wird Unbehagen erträglich. Eine Frage zur Selbstreflexion:
"Würde ich diesen Schritt tun, wenn meine Ängse plötzlich verschwänden?"

4. Achtsamkeitsanker werfen

Prokrastination entsteht oft im Autopilot-Modus. Achtsamkeitsübungen unterbrechen diesen Mechanismus:

Spüre deine Fußsohlen auf dem Boden
Zähle bewusst drei Atemzüge
Nimm die Raumgeräusche wahr
Diese Mini-Pause schafft Raum für bewusste Entscheidungen statt impulsiver Flucht.

Praxis-Checkliste: Vom Aufschieben zum Handeln

Nutze diese ACT-basierten Schritte bei nächstem Prokrastinationsimpuls:

Stoppe den Autopilot
Halte inne, sobald du den Fluchtimpuls spürst. Atme dreimal tief ein/aus.
Scanne dein Innenleben
"Ich spüre... [Angst im Bauch] / Mein Geist sagt... [Das ist sinnlos]"
Distanziere dich
"Interessant – mein Geist produziert gerade eine Ausrede. Muss ich darauf hören?"
Schaffe emotionalen Raum
"Ich kann dieses Unbehagen spüren und trotzdem handeln."
Werte-Check
"Welcher meiner Werte wird durch dieses Handeln gestärkt?" (z.B. Integrität, Wachstum)
Mini-Start
Setze einen 5-Minuten-Timer für die Aufgabe. Oft reicht dieser Impuls, um in den Flow zu kommen.

Der Paradigmenwechsel: Vom Gefangenen zum Kapitän

ACT lehrt uns nicht, Unbehagen zu lieben. Es macht uns zu Kapitänen unseres Handelns – wir lernen, Stürme (unangenehme Gefühle) zu umsegeln, statt auf windstilles Wetter zu warten. Jedes Mal, wenn wir trotz innerem Widerstand handeln, schwächen wir die Macht der Prokrastination. Die Angst mag bleiben, aber ihr Einfluss auf unser Verhalten schwindet.

Bereit, psychologische Flexibilität zu trainieren? Unser Prokrastinationskurs bietet praxiserprobte ACT-Übungen und individuelle Strategien für deinen Weg aus der Aufschiebefalle.

Hör auf, vor Unbehagen wegzulaufen: Wie Akzeptanzstrategien dir helfen können, trotz Prokrastination zu handeln